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Die erzwungene Berghochzeit

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So stellt man es sich vor. So ist es aber nicht. Ehrenwort.

So stellt man es sich vor. So ist es aber nicht. Ehrenwort.

Alles beginnt immer so wunderschön: Ein Freund oder eine Freundin verliebt sich nach langem Single-Dasein wieder, wir freuen uns, nehmen die Neue oder den Neuen in den engen Freundeskreis auf, weil sie aus einem weinerlichen, ständig jammernden Singlesack wieder einen anständigen Menschen gemacht haben. So weit, so romantisch.

Dann aber, wenn wir uns schon lange daran gewöhnt haben, die Beiden als festes Paar zu sehen, geschieht das Voraussehbare: Eine urban-hip gestaltete Einladung zu einem Hochzeitsfest flattert ins Haus. Wir verfallen in Panik.

Nichts gegen das Heiraten! Das kann durchaus funktionieren. Aber die Hochzeitsfeste der Stadtzürcher haben immer einen Fehler: Sie finden irgendwo in der Abgeschiedenheit der Schweizer Bergwelt statt. Natürlich heiratet man standesamtlich im Stadthaus, aber da werden nur enge Familienmitglieder eingeladen, die dazu natürlich von weit her mit dem Auto anreisen müssen.

Die eigentliche Zürcher Hochzeitsparty veranstalten die elenden Liebenden an Orten in den Bündner Bergen oder im Wallis, ohne vernünftigen ÖV-Zugang, in der unberührten Natur, mit Übernachtungszwang (Massenschlag) und dem gemeinschaftlichen Gefühl eines Pfadilagers. Und natürlich müssen die engsten Freunde schon einen Tag früher da sein, um mit dem Kochen und den Vorbereitungen für den schönsten Tag zu helfen.

Und natürlich versucht man ein Mobility-Auto für diesen Tag zu ergattern, leider einen Tag zu spät (wohl weil alle anderen besten Freunde von anderen Berghochzeitspärchen schon eines reserviert haben). Und hat man dann mit all dem Essen und der Dekoration im Rucksack die fünfstündige Reise hinter sich, findet man heraus, dass man das Essen für 58 Leute auf zwei Gaskochstellen zubereiten muss. Natürlich finden echte Städter das romantisch. Genauso wie besoffenes Schnarchen auf der dünnen Schaumgummimatratze nebenan.

Am eigentlichen Tag der Hochzeit würde das Handy vor lauter Absagen von Leuten, denen es doch zu weit ist, bimmeln. Wenn man denn Empfang hätte da oben. Und von den 25 Gästen, die keine gute Ausrede für die Absage des Bergsturms gefunden haben, saufen einige soviel, dass ein Unfall (gebrochener Fuss, Glasschnitt in der Hand) vorprogrammiert ist. Und man würde sofort den Notarzt rufen. Wenn man denn Empfang hätte.

Wirklich, liebe Stadtzürcher Liebende, wir haben so viele schöne Orte, die man mit dem Tram erreichen kann, zu denen auch alle Freunde gerne kommen, und vor Allem auch irgendwann wieder gehen können. Warum, warum nur, muss ein Bund für Leben immer an einem Ort geschmiedet werden, den Gott nicht fürs zivilisierte Leben vorgesehen hat? Schliesslich lachen wir ja auch über die Provinzler, die ihre Polterabende in der Stadt verbringen. Wie können wir da allen Ernstes unsere klischeevernebelten Heiratsaspiranten auf die Berge loslassen?

Nehmt euch ein Beispiel an den Berglern! Die einzigen verheirateten Bündner und Walliser, die ich kenne, haben hier in der Stadt gefeiert.

Der Beitrag Die erzwungene Berghochzeit erschien zuerst auf Stadtblog.


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